Ostern 2020 - Das Land befindet sich im Corona-Lockdown, die Feiertage sorgen für zusätzlichen Stillstand in der Industrie, die Sonne strahlt und am Ostermontag bewegt sich zusätzlich eine Windfront übers Land. Das bringt das Preisgefüge ganz erheblich durcheinander. Rein rechnerisch deckte zwischendurch die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien den Strombedarf in Deutschland zu 100%.
Doch eines nach dem anderen.
Das Zustandekommen des Strompreises ist eigentlich ganz einfach: es herrscht das Prinzip Angebot und Nachfrage. Gibt es viel Angebot und wenig Nachfrage, sinkt der Preis und umgekehrt. Die Erzeugung von herkömmlichen Kraftwerken wie Erneuerbaren Energien (Angebot) muss prognostiziert werden ebenso wie der Verbrauch aller Verbraucher Deutschlands (Nachfrage).
Der Strommarkt ist zusätzlich etwas komplizierter, da er kontinuierlich ist. Große Teile des Stroms für einen Tag werden bereits am Vortag am Day-Ahead-Markt gehandelt. Trotzdem kann bis kurz vor der tatsächlichen Lieferviertelstunde über den Intraday-Markt noch Strom gehandelt werden. Es gibt also – kurz gefasst - zwei Preise: Day-Ahead-Preise und Intraday-Preise. Die Day-Ahead-Preise basieren auf Erwartungen und Prognosen für den Folgetag - dieser ist ja noch 24h entfernt. Im Intradayhandel kann kurzfristig nachgehandelt werden, wenn die Prognosen nicht eintreffen.
Und an Ostern 2020?
Am Ostersonntag (12.04.2020) ist die Lage am Großhandelspreis (Day-Ahead-Preis - braun) noch recht stabil. Der prognostizierte Verbrauch (rot) liegt wie zu erwarten recht niedrig gegenüber der prognostizierten Erzeugung (schwarz). Fabriken stehen still, zusätzlich sorgt die schon kräftige Frühjahrssonne für ein Solarpeak zur Mittagszeit von 27 GW. Das sind 54% der installierten Leistung. Das drückt den Day-Ahead-Preis auf knapp über Null €/MWh.
Am Ostermontag passiert nun folgendes: zusätzlich zum niedrigen Verbrauch und einer kräftigen Solarstromerzeugung rollt auch noch eine Windfront über das Land. Zeitweise erzeugen alle Deutschen Windmühlen 24 GW Strom. Das sind gut 45% der installierten Leistung, die in Volllast Strom erzeugen. Das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch ist noch einmal deutlich größer als am Vortag.
Die Erzeugung aus Erneuerbaren Energien erreicht zur Mittagszeit 50 GW und ist damit gleichauf mit dem Stromverbrauch in Deutschland. Dies sorgt für stark negative Day-Ahead-Preise. Stromverbraucher bekamen also Geld, wenn sie Strom abgenommen haben. Von morgens 5 Uhr bis abends 19 Uhr – das sind volle 14 Stunden – wird Strom für unter 0 €/MWh gehandelt. Ein Rekord! Stellenweise brach der Strompreis auf unter -75 €/MWh ein.
Am Dienstag danach (14.04.2020) zeigt sich ein “normales” Verhalten am Strommarkt: Angebot und Nachfrage sind größtenteils gleichauf. Die industriellen Verbraucher sind wieder am Netz, gleichzeitig lässt die Windfront nach. In Stunden in denen der erwartete Verbrauch höher ist, als die Erzeugung steigt der Strompreis. In Stunden in denen die erwartete Erzeugung größer ist als der erwartete Verbrauch, wie hier getrieben durch den Solarstrom, sinkt der Strompreis. So viel zum Day-Ahead-Markt.
Doch wie verhielt es sich am Intraday-Markt?
Wir befinden uns jetzt also nicht mehr am Vortag, sondern am Tag der Lieferung. Der Intraday-Markt ist komplex. Sehr komplex. Neben der Prognosequalität kommen hier auch noch weitere Faktoren zum Tragen, wie Handelsstrategien und Spekulationen großer Marktakteure, kurzfristige technische Ausfälle von Kraftwerken, Stromausfälle in Nachbarländern, Abschaltungen. Wir wollen uns hier nur einen einzelnen Faktor anschauen: Die Erzeugungsprognose (blaue Linie) und die tatsächlich realisierte Einspeisung (blaue Fläche) von Windenergieanlagen an Land über unseren Betrachtungszeitraum.
Die Prognosequalität schaut bis zum Ostermontag um 12:00 hervorragend aus. Bis auf kleinere Abweichungen, stimmen Prognose und Erzeugung wunderbar überein. Doch dann passiert es, in den 4 anschließenden Stunden bricht die tatsächliche Erzeugung massiv ein gegenüber der Prognose.
Teilweise werden 40% weniger Windstrom erzeugt, als prognostiziert. Was war geschehen? Ganz einfach: Die Strommarktmechanismen haben gegriffen. Dadurch dass der Strompreis so niedrig war, lohnt es sich schlicht nicht mehr Strom zu erzeugen. Windmühlen würden mit dem fallenden Strompreis nach und nach ausgeschaltet.
Dieser Mechanismus stabilisiert das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch und damit auch die Versorgungssicherheit, denn beides muss bilanziell zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein. Die Intraday-Preise an diesem Tag lagen bei ca. -120 €/MWh im kontinuierlichen Handel (nicht dargestellt) und damit noch niedriger als der Day-Ahead-Preis. Trotz den Abschaltmaßnahmen war das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch noch größer als am Vortag erwartet.
Wo ist der Strom also hin?
Deutschland ist keine Strominsel sondern gut integriert in ein europäisches Stromnetz und in einen europäischen Strommarkt. Am Ostermontag wurden zur Stunde der Erzeugungsspitze über 13 GW in die Nachbarländer verkauft. Das entspricht in etwa 15% des deutschen Maximalstrombezugs von gut 80 GW.
Falls Erzeugung, Verbrauch und Export nicht übereinstimmen, müssen die Netzbetreiber mit Ausgleichsenergie nachhelfen. Ausgleichsenergie kann positiv und negativ sein.
An einem Tag wie dem Ostermontag lässt sich vermuten, dass dieser Mechanismus stark gefordert ist. Schaut man sich hier den Verlauf an, wird deutlich, dass der Bedarf an Ausgleichsenergie (grün) sowohl am Ostersonntag als auch Ostermontag 2020 minimal war. Lediglich als ab 18 Uhr die Windfront nachließ, gibt es einen Abruf von ca. 1200 MW Ausgleichsenergie.
Schaut man sich den Ausgleichsenergiebedarf des Dienstags 14.04.2020 an, werden hier Ausgleichsenergiemengen von 2500 MW bezogen. Dieser Peak kann von unerwarteter verminderter Solareinspeisung stammen, die an diesem Tag zur Mittagszeit gut 15% niedriger war als erwartet.
Nie langweilig!
Diese kleine Exkursion zeigt vor allem eines: Am Strommarkt passieren vor unseren Augen und trotzdem unsichtbar ständig die spannendsten Dinge. Die korrekte Vorhersage von Verbrauch und Erzeugung ist komplex, ganz besonderes auch an Feiertagen. Trotzdem sorgen marktgetriebene Mechanismen wie Abregelungen und Export für ein stabiles und ausgeglichenes Stromsystem. Falls es trotzdem mal nicht ausreicht, stehen weitere Ausgleichsmechanismen zur Verfügung, die die Versorgungssicherheit garantieren. Die fluktuierenden Erneuerbaren Erzeuger sind also gut zu managen.
Alle Abbildungen von Smard – dem Portal für Strommarktdaten der Bundesnetzagentur.
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